Die Predigt im Wortlaut:
In den Kirchen herrscht „Theophobie“, schreibt Rolf Schieder, der inzwischen emeritierte Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Berliner Humboldt-Universität. „Sie haben Angst überhaupt noch von Gott zu sprechen“, so war vor einigen Tagen in seinem Artikel in der WELT zu lesen. Er stellt fest, dass selbst diejenigen, die noch Kirchensteuer zahlen, mehrheitlich nicht mehr an Gott als ein transzendentes Wesen glauben. Der Trend sei nicht „glauben ohne dazuzugehören“, sondern „dazugehören ohne zu glauben“.
Der Theologieprofessor schreibt: „Wenn die Kirchen überhaupt nicht mehr vom dreieinigen Gott sprechen, sondern nur noch als politische Moralagenturen auftreten, bleiben sie der Gesellschaft Entscheidendes schuldig.“ Die Sorge um diese Verweltlichung beklagte kürzlich die Bundestagspräsidentin und löste damit eine kontroverse Diskussion aus.
Neben der Vielzahl an tagespolitischen Äußerungen „suchen die Kirchen zurzeit ihr Heil in der Beschäftigung mit sich selbst. Sie vergeuden ihre Energien mit dem Entwerfen von Strukturprogrammen, die mit dem Verfall kirchlichen Lebens ohnehin nicht Schritt halten können. Nicht die Formen sind das Problem der Kirchen, sondern der Inhalt“, war in besagtem Artikel in der WELT zu lesen.
In diesem Sinne äußerte sich dieser Tage auch der Münsteraner Pastoraltheologe Jan Loffeld. Es gebe keine fertige Strategie, die den Relevanzverlust des Glaubens an Gott aufhalten kann. Stattdessen müsse die Kirche lernen, „dass Gott derjenige ist, der den Glauben schenkt“ und die Kirche sollte alles tun, um Menschen zu ermöglichen, Gott zu treffen. Seine Erfahrung sei, dass sich Konzepte, Pastoralprogramme und Visionsprozesse oft nicht als realistisch erwiesen hätten. Es brauche Anregungen, die vor Ort in pastorales Handeln übersetzt werden könnten.
Jan Loffeld sagt, es sei die Aufgabe der Kirche, „in diesen Pluralismus von Lebensentwürfen hinein“ zu zeigen, was es bedeute, mit Gott zu leben – und ohne ihn. In diesem Sinn erschien im vergangenen Jahr das Buch „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“.
Damit sind wir bei Pfingsten! Die Botschaft von Pfingsten – und deshalb ist dieses Fest so wichtig und unverzichtbar – erinnert daran, dass die Jünger versammelt waren und in der Kraft des Heiligen Geistes daran gingen, in aller Welt die Frohe Botschaft des Auferstandenen in Wort und Tat zu bezeugen.
Aber Hand aufs Herz: Reden wir so, dass die Menschen um uns herum sich angesprochen fühlen und nachdenklich werden? Das beginnt schon damit, welche Werte wir Kindern vorleben und ihnen nahebringen.
Ich erinnere mich an unzählige Diskussionen mit Eltern etwa im Zusammenhang mit der Taufe und dem damit verbundenen Versprechen, Kinder im Glauben zu erziehen: „Nein, unser Kind soll sich einmal selbst entscheiden! Wir wollen nichts vorgeben!“ Wenn ich dem z.B. entgegengehalten habe: „Sie können auch nicht warten, bis sich ihr Kind entscheidet, ob es bei Grün oder bei Rot über die Ampel geht! Oder sie können es auch nicht der Entscheidung ihres Kindes überlassen, ob es etwas essen oder lernen mag!“ Dann hieß es zumeist: „Das ist etwas anderes!“
Die Apostelgeschichte berichtet, dass Menschen mit vielfältigem kulturellem Hintergrund, mit verschiedener religiöser Prägung, sogar mit unterschiedlichen Sprachen einander verstanden haben. Ihnen wurde klar, worauf es ankommt, und deshalb haben sie auch zueinander und einen verheißungsvollen Weg für das Leben gefunden. Für das friedvolle Miteinander der Menschen braucht es ein geistiges Fundament. Damit meine ich nicht eine einzige Konfession, aber ein verbindendes geistiges und geistliches Fundament. Genau das wurde an Pfingsten damals in Jerusalem erlebbar.
Einfache Leute, verängstigte Anhänger Jesu, die sich seit Karfreitag verkrochen hatten, atmen auf, spüren Leben, gehen hinaus auf Straßen und Plätze, sprechen frei von ihrer Überzeugung. Ohne Dolmetscher verstehen sie einander. Pfingsten ist die Vision der vollkommenen Kommunikation, des Miteinander-Redens ohne jede Schwierigkeiten. Aus deprimierten werden begeisterte Menschen, die an die Zukunft glauben und frei heraus reden. „Pfingsten ist ein Fest der Kommunikation“, heißt es im aktuellen Kommentar zum Pfingstfest in der Süddeutschen Zeitung.
Pfingsten macht deutlich: Der Geist Gottes führt Menschen zusammen und sorgt für Verständigung. Da werden keine Fenster geschlossen, keine Mauern und Absperrungen aufgerichtet. Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprache verstehen sich. Die Weite des Denkens erschöpft sich nicht in nationalen Interessen, sondern alle haben das Wohl der Völkergemeinschaft im Blick.
Im Kommentar der SZ heißt es: „Die Schüler und Jünger des Jesus sind keine Politiker, sie sind keine Diplomaten, sie sind überhaupt nicht sprachenkundig. Und doch trauen sie sich nun auf die Straßen und Plätze und sie sprechen wie entfesselt zu einer Menschenmenge aus aller Herren Länder. Und es geschieht etwas, was diese Geschichte so wundervoll macht: Jeder hört sie in seiner Sprache reden. Die Jesus-Leute haben die Gabe, die anderen über alle Sprachbarrieren hinweg zu erreichen: Sie verstehen, sie werden verstanden, sie finden die richtigen Worte. Die kreative Kraft, die schöpferische Macht, die ihnen das ermöglicht – sie wird Heiliger Geist genannt. … Pfingsten ist das Fest der Kommunikation ...“
Im unmittelbaren Lebensumfeld ist es oft anders. Wir reden z.B. von bestmöglicher Betreuung von Kindern und meinen damit jeweils etwas ganz anderes, ebenso bei der Pflege hilfsbedürftiger Menschen. Die einen meinen die Betreuung, die anderen Zuwendung. Bei der Rede von einer solidarischen Gesellschaft denken die einen an das persönliche Engagement, während andere alle Hilfe und Unterstützung vom Gemeinwesen, vom Staat erwarten. Wir reden von „Wohlstand für alle“ und haben den eigenen Vorteil im Blick. Alle beklagen die zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft, aber es genügt nicht, nur Symptome zu kurieren und mehr Sozialarbeiter einzufordern, es braucht eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem geistigen Fundament unseres Lebens und unseres Zusammenlebens. Und die beginnt wiederum mit der wertvollen Erziehung des Nachwuchses.
Ähnliches erleben wir derzeit, wenn trotz modernster Kommunikationstechniken sprachliche Verständigung zwar möglich ist, dennoch viele aneinander vorbeireden. Es wird über Frieden – ob für die Ukraine oder den Nahen Osten – verhandelt, nach wie vor aber fallen Bomben, und Menschen werden getötet.
Doch genau die derzeitige Situation in Welt und Gesellschaft könnte eine Chance für das Christentum sein. Der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann sagte in einem Interview: „Denn wo Kirche gut arbeitet, steigt die Wahrscheinlichkeit von glaubwürdigen Begegnungen.“ Es kommt gerade jetzt darauf an, von Gott zu reden und seine Lebensbotschaft in Wort und Tat zu bezeugen.
Sellmann sagt: „Authentisches Christsein übersetze ich damit, dass Christen eine Leidenschaft für das Mögliche haben. Es sind Menschen, die es für möglich halten, dass Beziehungen weitergehen, die es für möglich halten, dass man diese Erde retten kann, dass man sich mit dem Nachbarn versöhnen kann, dass Krankheit und Tod nicht das Ende sind. Und dort, wo Menschen das leben, wo sie ein Geheimnis ausstrahlen, wo sie Fröhlichkeit ausstrahlen, wo sie Großzügigkeit, Engagement und Humor ausstrahlen, da wird man vielleicht nicht sagen, das sind authentische Christen, aber man wird sagen, das sind sehr interessante Menschen. Was motiviert diese Menschen?“
Die ZEIT hat in einer Umfrage erhoben, dass 70 Prozent der Deutschen sich für den Papst interessieren, also weit mehr als der Kirche angehören, und das in einer Zeit, in der die Menschen in Scharen aus der Kirche austreten. Sein erster Gruß nach seiner Wahl an die Welt war: „Der Friede sei mit euch!“ Diese Botschaft hat Aufmerksamkeit gefunden in der Welt unserer Tage mit ihren vielen Konflikten. Und wir erleben, wie er sich um Frieden müht. Er spricht mit Selenskyj, er telefoniert mit Putin, mit Trump, er redet mit dem EU-Ratspräsidenten.
Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche! Der Geist Gottes erfüllte die Apostel, und sie folgten der Sendung Jesu: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“
Deshalb kommt es jetzt weniger darauf an, dass wir uns mit uns selbst, mit Amts-, Macht- und Strukturfragen beschäftigen, sondern dass wir aus dem Geist Gottes heraus mitwirken, um eine menschliche und lebenswerte Gesellschaft zu gestalten, das Leben fördern und als wertvolle Wegbegleiter und einfühlsame Mitmenschen wahrgenommen werden.
Um es mit den Worten von Matthias Sellmann in seinem Interview zu sagen: „Und dann stellt sich die Frage, wie diakonisch diese Kirche ist? Ist sie wirklich an meiner Seite, wenn es mir schlecht geht? Und zwar nicht abstrakt, sondern ganz konkret in faszinierenden, helfenden Persönlichkeiten, in der Telefonseelsorge, in der Notfallseelsorge, in der Hospizseelsorge. Sprache, Liturgie, Diakonie – das sind drei Marker, mit denen Kirche heute wieder Aufmerksamkeit für ihre Glaubwürdigkeit bekommen kann.“
Und ich möchte ergänzen: Damit weckt sie Neugierde und Interesse an Gott und am Glauben.
Pfingsten kann die Welt verändern! Das Pfingstwunder ereignet sich in der wunderbaren Kommunikation. Wer vom Geist Gottes erfüllt, inspiriert ist, der kommuniziert anders mit den Mitmenschen – nämlich menschlicher! Wer vom Geist Gottes erfüllt ist, braucht keine Angst zu haben von Gott zu sprechen, denn gerade durch ihn wird er erst wirklich fähig mit den Menschen zu sprechen. Also keine „Theophobie“, sondern ganz einfach „Theo – logie“.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
In einer Welt so vieler Veränderungen und Krisen,
so vieler Herausforderungen,
aber auch so vieler Chancen für die Zukunft
brauchen wir mehr als
nur Lehren und Ideologien.
Wir brauchen Geist!
(Autor unbekannt)